Indian Summer - 1. September bis 20. September 2001


Hinweis:
Das Tagebuch 2001 ist nicht vollständig, da der 11. September viele Tage so überdeckt hat, dass nichts übrig geblieben ist. Auch 18 Monate später.


Samstag, 01.09.2001

Morgens von Stuttgart weggeflogen. Das lustigste am Flug war eine Delegation von Nigerianern, die nicht glauben wollten, dass die Plätze in dem kleinen Eurowings-Flugzeug nummeriert sind. Sie setzten sich einfach auf den Platz, der ihnen genehm war und weigerten sich aufzustehen, als die eigentlichen "Besitzer" des Platzes auftauchten. Man soll nicht glauben, durch was im internationalen Flugverkehr Verspätungen verursacht werden können. In New York (nach Zwischenlandung in Amsterdam) versammelte sich die Gruppe. Meike, unsere gute Seele (plus Fahrerin), erwartete uns strahlend. Weniger strahlten Günther und W.M., als ihr Gepäck nicht auftauchte. Trotz eines kleinen Verkehrsstaus erreichten wir unser Hotel am Broadway. New York war genauso laut und hektisch, wie ich es von meinen bisherigen Besuchen kannte, ein Umstand, der sich 10 Tage später ändern sollte. Nach dem langen Flug reichte es noch für einen Spaziergang durch den Central Park (den ich als altgedienter New York Reisender führen durfte), dann hieß es für mich und meinen Zimmergenossen Gregor essen und ab ins Bett.

Sonntag, 02.09.2001

Meike hatte einen schlechten Tag. Das ist das erste, was mir zum 2. September einfällt. Zweimal verfuhr sie sich und dann übersah sie in Philadelphia ein STOP-Schild, ich glaube bis heute noch nicht, dass es nicht gekracht hat. Es können nur Millimeter gewesen sein. Philadelphia war leider nur ein Zwischenstop. Ein kurzer Film über die Wirren der Jahre 1770-1780, kurz Spazieren gehen und die Freiheitsglocke bestaunen. Mehr war in unserem engen Zeitplan für diesen Tag nicht drin. Schade. Auf mich hat Philadelphia einen hoch interessanten Eindruck gemacht, ich wäre gerne einige Tage geblieben. Weiter ging es in die Tiefen Pennsylvanias, in Amish Country. Es war Sonntag, viele Amish waren nach der Kirche nachmittags unterwegs, zu Fuß und in den Kutschen, die der Deutsche aus der Autowerbung und dem Film "Der einzige Zeuge kennt". Ein Besuch in der Amish Farm war zwar touristisch versäucht, aber nichtsdestotrotz hoch interessant. Und dann hieß es zum ersten Mal: Zelt aufbauen. Einige hatten damit so ihre Schwierigkeiten, aber Gregor und mich als alte Zelthaudegen (hihi) konnte es nicht schrecken.

Montag, 03.09.2001

Und gleich wieder abbauen. Nach dem Frühstück, versteht sich. Rein in den Bus und hoffen, dass keine versteckten STOP-Schilder auftauchen würden. Aber keine Sorge, ab dem 3. Tag war fahrtechnisch alles in Ordnung. Die Reise führte uns über Gettysburg nach Washington. Gettysburg - das größte Schlachtfeld der amerikanischen Geschichte - kann mit dem Auto abgefahren werden. Am Anfang noch sehr interessant, ließ der Reiz für mich mit der Zeit nach. Am späten Nachmittag kamen wir am Zeltplatz bei Washington an und waren beim Zeltaufbau schon deutlich schneller. Gregor und ich versuchten Tag für Tag, unseren Aufbaurekord zu verbessern.

Dienstag, 04.09.2001

Washington: Es gab einige unter uns, die nahmen Washington so mit nach dem Motto: ganz interessant aber nicht wirklich spitze. Für mich war Washington einer der Höhepunkte der Reise. Allein eine amerikanische Großstadt zu sehen, die (aufgrund Skylineverbot von 1915) völlig ohne Hochhäuser auskommt, eine Stadt, in der peinlich darauf geachtet wird, dass es keinen architektonischen Wildwuchs gibt, war genial. Dazu kam, dass nach anfänglicher Eintrübung das Wetter immer schöner wurde und einige tolle Bilder ermöglichte. Am interessantesten fand ich parsönlich das Congress-Gebäude. Klar, das Weiße Haus muss man auch gesehen haben, aber für eine kurze Besichtigung stundenlang in der Schlange stehen - nein danke.Am Abend hatten Gregor und ich ca. 20 Kilometer in den Beinen und das bei 30 Grad. Wir waren froh, dass wir für die Nachtaufnahmen den Van verwenden konnten und nicht unsere Füße weiter malträtieren mussten. Das Lincoln Memorial ist auch nachte einen Besuch wert.

Mittwoch, 05.09.2001

Wir schenkten uns Bedford als Übernachtungsort und fuhren gleich zu den Niagara-Fällen weiter. Es war der längste Fahrtag, aber Bedford hatte außer ein paar schönen Häusern wirklich nichts zu bieten. Schnell, schnell die Zelte aufbauen. Vor der Fahrt zu den Fällen traf ich ein österreichisches Paar, das mit zehn Huskies unterwegs war. Dann ging es zu Fuß über die Brücke nach Kanada. Beeindruckend, begeisternd, phänomenal. Wir saßen in einem Restaurant mit Blick auf die Fälle, genossen ein leckeres Essen und die Lightshow an den Niarara Falls. Okay, es war ein wenig kitschig, aber wen stärt das schon. Mich nicht. Schade, dass wir uns schon um 22.30 Uhr wieder trafen. Ich hätte noch länger bleiben können. (Aber das konnte man ja fast an jedem Tag sagen.

Donnerstag, 06.09.2001

Maid of the Mist. Um 10.00 Uhr. Das bedeutet, blauen Plastiküberhang (Ganzkörperkondom) anziehen und mit 300 Leuten auf ein Schiff, dass dann fast bis in die Fälle hineinfährt. Dass man danach von oben bis untern nass ist, ist Ehrensache. Ich war nur froh, dass meine Kamera (ich konnte doch nicht nicht fotografieren) die Fahrt überlebt hat. Vor der Fahrt gab es für mich noch einen Spaziergang zu der amerikanischen Seite der kanadischen Horseshue-Falls - alles klar? Und auch nach der Fahrt hatten wir noch genügend Zeit für einige abschließende Blicke auf dieses Naturwunder. Am Nachmittag ging es weiter in den Adirondack National Park. Unser Zeltplatz war bei Old Forge - und wir bekamen erst mal die Verhaltensmaßregeln bei Bärenkontakt zu hören. Nur Bären sahen wir dann (leider?) keine. Dafür jede Menge Eichhörnchen, Streifenhörnchen, Biber und Rehe.

Freitag, 07.09.2001

Beim Frühstück lief eine Gruppe Enten am Tisch vorbei. Natürlich haben wir sie nicht gefüttert. Danach reissen die Erinnerungen ab, leider...

Samstag, 08.09.2001

Unvollständig, da die Tage kurz vor und kurz nach dem 11. September bei keinem mehr richtig präsent waren.

Sonntag, 09.09.2001

Unvollständig, da die Tage kurz vor und kurz nach dem 11. September bei keinem mehr richtig präsent waren.

Montag, 10.09.2001

Ich weiss noch, dass wir am Abend vor dem 11. September eine kleine Tour durch Acadia gemacht haben. Wir liefen an der Küste entlang und Martin meinte, dass er es hier auch Wochen aushalten könnte. Ich habe ihm zugestimmt. Die Welt schien perfekt zu sein. Bildschönes Wetter, kleine Landschaftskostbarkeiten in allen Richtungen. Möven, die sich anstandslos ablichten liessen...

Dienstag, 11.09.2001

Der Tag, der die Welt verändert hat, began für uns ganz normal. Aufstehen, Frühstück und dann eine kurze Fahrt zu einem wunderschönen See im Acadia National Park. Wir gingen um 9 Uhr los. Es war ein herrlicher Tag. Nach einer knappen Stunde kamen wir einem Arbeiter entgegen. Er fragte uns, ob wir etwas aus New York gehört hätten, dort solle es einen Unfall am World Trade Center gegeben haben und sein Sohn würde dort arbeiten. Wir verneinten und liefen weiter. Nur kurz diskutierten wir über den vermeintlichen Unfall, dann genossen wir das tolle Wetter und die ruhige Atmosphäre am See. Erst als wir zurück kamen und das versteinerte Gesicht von Meike sahen, wussten wir, dass tatsächlich etwas schlimmes geschehen sein musste. (Mir laufen noch drei Jahre später Tränen über das Gesicht, wenn ich an diese Minuten senke, denn diese haben sich mir so tief in die Erinnerung eingebrannt, dass ich sie wohl nie vergessen werde) Am Radio hörten wir die ersten Meldungen. Wir waren wie erschlagen. Der Tag zog an mir wie durch einen Schleier vorbei. Acadia und Bar Harbor war faszinierend, aber das nahm nur noch ein Teil von mir wahr. Wir wollten telefonieren, aber alle Leitungen waren tot. Eine Woche zuvor waren wir am Pentagon gewesen, eine Woche später wären wir am WTC gestanden. Es ging mir nicht aus dem Kopf. Gudrun, Gregor uns ich setzten uns von der Gruppe ab und verzogen uns zum Ocean, wo wir den Wellen und den Möwen zusahen. Gregor las Harry Potter - Flucht aus der Wirklichkeit. Dazu gehörte auch, dass wir uns abends zum Essen trafen und den vorbestellten Hummer samt Clam Chowder Soup verspeisten.

Mittwoch, 12.09.2001

Nach der Abfahrt versuchten wir erst einmal, Zeitungen zu organisieren. Das Radio lief solange, bis Gudrun meinte, sie könne es nicht mehr hören. Wir hatten immer noch nicht begriffen, was da eigentlich geschehen war. Die Stimmung war nicht gut oder schlecht, sie war einfach nicht existent. Wir schwiegen uns an und wenn es etwas zu sagen gab, war es banal und uninteressant.

Donnerstag, 13.09.2001

Unvollständig, da die Tage kurz vor und kurz nach dem 11. September bei keinem mehr richtig präsent waren

Freitag, 14.09.2001

Boston bei schlechtem Wetter, das weiss ich noch. Die Laune, die wegen der letzten Tage ohnehin am Boden war, sank weiter. Wir irrten durch Boston, ich kaufte einige Bücher - nur um dem Regen zu entfliehen. Abends klarte es auf und ergab mit der feuchten Luft ein wunderschönes Fotolicht. Boston bei klarem Himmel - und klarem Kopf - muss wunderschön sein. Das Holocaust-Denkmal beeindruckte mich sowohl von der architektonischen Seite aus auch von der Aussage.

Samstag, 15.09.2001

Nach einem langen Fahrtag bei strahlendem Wetter kamen wir nachmittags in Cape Cod an und machten eine Walsuchfahrt, die beeindruckender nicht sein konnte. Nicht einer, nicht zwei, ein gutes Dutzend Wale bekamen wir bei stürmischem Seegang zu sehen. In fünf Minuten waren zwei Filme durchbelichtet... Was hätte ich mir hierfür eine Digitale Kamera gewünscht..

Sonntag, 16.09.2001

Ich zog mit Gudrun durch Provincetown. Ein grünes T-Shirt mit Regenbogen-Emblem liegt seither in meinem Schrank, aber ich kann mich nicht mehr mit der Farbe anfreunden. Ich muss an dem Tag wohl farbenblind gewesen sein. Wir laufen über den offenen Friedhof. Zweimal werde ich an dem Tag angebaggert, einmal von einem Afroamerikaner mit beeindruckendem Körperbau. Für Gudrun war nichts dabei, wir sind offensichtlich weniger Lesben als Schwulen begegnet. Die Atmosphäre ist gigantisch. Es ist der erste Tag, an dem ich zeitweise das Geschehene völlig vergessen/verdrängen kann. Wir scherzen und beschließen, Cape Cod in die Liste der möglichen Altersruhesitze aufzunehmen. Bis heute könnte ich mir gut vorstellen, in diese Region auszuwandern...

Montag, 17.09.2001

Zum letzten Mal bauten wir früh morgens unsere Zelte ab, machten uns zum letzten Mal Frühstück und dann ging es die wunderschöne Strecke von Provincetown bis zu der Brücke entlang, die Cape Cod mit dem Festland verbindet. Und dann hieß es fahren, fahren, fahren, bis wir gegen 4 Uhr in NYC ankamen. Um 5 trafen wir uns und fuhren mit der Subway zur Wall Street. Schon beim ersten einatmen spürte man den Staub in der Luft. Wir kämpften uns bis zur Staten Island Ferry durch. Überall Polizisten und Militärfahrzeuge, kein Autoverkehr. Es war beängstigend, die Stand befand sich tatsächlich im Kriegszustand. Wir fuhren im Sonnenuntergang nach Staten Island und erst jetzt, als ich die Löcher in der Skyline sah, glaubte ich endgültig, dass alls nicht nur ein böser Traum gewesen war. Eine Staubwolke, mehrere hundert Meter hoch, hüllte die Unglücksstelle ein. Wir waren fassungslos.

Dienstag, 18.09.2001

Der ganze Tag stand für Erkundungen in der Stadt zur Verfügung, doch was wollte man machen? Informationen, was wann aufmachen könnte, flossen nur spärlich, es war ein trail-and-error-Spiel. Wir entschlossen uns zu einem Trip in Richtung Empire State Building, aber es hatte geschlossen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich das Elend von oben hätte sehen wollen. Viel lieber erinnere ich mich an die früheren Besuche und an den tollen Ausblick mit dem WTC. Wir liefen weiter nach Süden und am Washington Square trennten wir uns. Am Washington Square und später am Union Square habe ich es kaum ausgehalten. Tausende von Kerzen und von Zetteln, auf denen Menschen ihre Angehörigen suchten. Ich war froh, dass die Sonne schien und ich meine Brille aufsetzen konnte, um meine feuchten Augen zu verdecken. Doch die Tränen liefen nicht nur mir über die Wangen. Ich denke, nicht einmal Steine hätten diese Orte der Trauer besuchen können, ohne zu weinen. Später habe ich mich (wie in Boston) mit Bücher kaufen abgelenkt. Und das gelang mir ganz gut. Als wir uns abends wieder trafen, hatte ich meinen Buchbestand im Hotel auf 16 (alles gebunden) ausgebaut. Danach durften wir uns über die gesalzenen Restaurantpreise freuen, bevor ich zusammen mit Gudrun vor halbleerem Haus "Les Miserables" anschaute. Es war trotzdem - oder gerade deswegen - schön.

Mittwoch, 19.09.2001

Am Morgen verzog ich mich mit einem Buch in den Central Park. Die Stille der Stadt führte dazu, dass auch ich eigentlich nicht reden wollte und so sass ich fast allein ab 10 Uhr an der Bethesda Fountain. Erst kurz vor Knapp machte ich mich auf den Rückweg zum Hotel. Aufgrund der angeblich erhöhten Sicherheitsvorkehrungen kamen wir über drei Stunden vor Abflug bei JFK an. Sicherheit? Große Panne. Selten habe ich mich so verarscht gefühlt. Vor dem Einchecken ging das aufzugebende Gepäck durch eine zusätzliche Bestrahlungsröhre. Dahinter brach das große Chaos aus. Gleich wieder an sich nehmen durfte man es nicht, es kam auf einen großen Haufen in einem mäßig abgesperrten Raum. Dutzende von Leuten liefen dort durch und als ich später von dem KLM-Mitarbeiter gefragt wurde: "Did you leave your luggage unattended at any time" musste ich mich sehr beherrschen, nicht etwas zu sagen, was mir später leid getan hätte. Immerhin hob der Flieger fast planmäßig ab, mit der Betonung auf fast!

Donnerstag, 20.09.2001

Ankunft in Deutschland. Der Flug war ätzend wie immer, nach drei Stunden begann mein Hinterteil einzuschlafen. Immerhin kamen zwei gute Filme in wie immer bescheidener Ton- und Bildqualität. Und der Höhepunkt. Wie nicht anders erwartet - wir hatten in Amsterdam nur 90 Minuten Zeit - fehlte in Stuttgart unser Gepäck. Worüber ich nicht ganz unglücklich war. Immerhin musste ich die 36 Kilo (Bücher, Bücher, Bücher) so nicht vom Bahnhof nach Hause schleppen, sondern bekam das Zeug drei Stunden später frei Haus geliefert. Klappe zu, Urlauber tot...


Klaus Kubelka, 07. Oktober 2001, ergänzt am 21. Februar 2003 und am 17. April 2004


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